Köln | Zwei ehemalige Publikumslieblinge des Kölner Klassik-Publikums feiern gegenwärtig auf den ganz großen Bühnen der Welt Erfolge. Während in New York die Wagner-Sopranistin Nina Stemme die Saison an der Metropolitan Opera eröffnete, wird in London Semjon Bytschkow als neuer Chefdirigent des Royal Opera House gehandelt. Zeit für einen Rückblick.

Nina Stemme

In New York eröffnete die Metropolitan Opera (Met) die Saison 2016/17 mit Wagners Musikdrama „Tristan und Isolde“ und Nina Stemme in der Titelrolle und Sir Simon Rattle, dem Chefdirigenten der Berliner Symphoniker, am Dirigentenpult. Die „opening night“ ist ein social event für sehr wohlhabende New Yorker und ein mediales Großereignis: Über 3500 Zuschauer in der Met, Live-Übertragung zum Times Square und in 100 Kinos in aller Welt.

Met-Trailer auf Youtube

„Tristan & Isolde“, fast fünf Stunden, mit Pausen, ist so etwas wie die Volldröhnung für Wagner-Fans; vom Tristan-Akkord am Anfang, der das stundenlange schmachtend-sehnende Warten auf Erlösung eröffnet, bis zur Liebestod-Arie am Ende, die Wagner-Fans in geradezu mystische Verzückung versetzen kann. Und es ist eine Oper, die den Sängern alles abverlangt. Für Nina Stemme, ohnehin eine der besten Wagner-Sängerinnen weltweit, wurde der Auftritt in ihrer Parade-Rolle in New York zum Triumph. Der New York Times-Musikkritiker Anthony Tommasini feiert die Sopranistin in seiner Besprechung nachdem die New York Times, immer noch die einflussreichste Zeitung der USA, Nina Stemme bereits vor ihrem Auftritt ein großes Portrait gewidmet hatte. Auch das Intellektuellen-Magazin “The New Yorker” spart nicht mit Elogen für die Wagner-Sängerin. Die Inszenierung des polnischen Regisseurs Mariusz Trelinski hingegen stieß weder bei der Kritik noch beim Publikum auf große Begeisterung. Interessantes Detail: Die Met eröffnet die Saison nicht mit einer eigenen Inszenierung! Tatsächlich war die Mariusz Trelinski-Inszenierung bereits bei den Osterfestspielen 2016 in Baden-Baden zu sehen (mit Sir Simon Rattle am Dirigentenpult, ohne Nina Stemme).

Anfänge in Köln

Ihr Triumph in New York wie auf vielen anderen großen Bühnen lässt fast vergessen, dass Nina Stemmes Karriere in Köln begonnen hat. 1963 in Stockholm geboren, kam Nina Stemme eher spät zur Oper, studierte erst Wirtschaft und betrieb ihre Gesangsausbildung unentschieden und fast nebenbei. Doch immer wieder wurde man bei verschiedenen Wettbewerben auf das Stimmtalent aufmerksam, was der jungen Sopranistin verschiedene Konzert- und Bühnenengagements einbrachte.

Dann passierte das fast Unglaubliche: Statt einem Angebot der Wiener Staatsoper zu folgen, damals wie heute eine allererste Adresse in der Opernwelt, und Ensemble-Mitglied in Wien zu werden, ging Nina Stemme an die Oper Köln, um sich, wie sie immer wieder gesagt hat, „in Ruhe entwickeln zu können“. Hier sang sie Partien wie die Mimí in „La Bohème“, was sich als smarte Karriereentscheidung erweisen sollte. Die beiden Sopran-Rollen in „La Bohème“, die am Ende an Schwindsucht sterbende Stickerin Mimí und die kokette Musetta, sind so etwas wie das Sprungbrett für jede Sopranistin. Wohl jede bedeutende Sopranistin hat eine dieser Rollen gesungen. Maria Callas, die Opern-Diva schlechthin, wurde dafür an der Mailänder Scala gefeiert, Anna Netrebko, die wohl größte Sopranistin unserer Tage, bei den Salzburger Festspielen 2012.

In Köln ist im Dezember 2016 die Michael Hampe-Inszenierung der „La Bohème“ zu sehen, mit Marina Costa Jackson, bzw. Justyna Samborska in der Rolle der Mimi und Emily Hindrichs, bzw. Ivana Rusko in der Rolle der Musetta. Es dauerte dann, wie üblich, Jahre, bis Nina Stemme sich als Wagner-Sängerin etablieren konnte. Zwar wurde sie schon 1994 nach Bayreuth eingeladen und sang auch 2001 an der Kölner Oper die Sieglinde in der Wagner-Oper „Die Walküre“, doch erst 2003 kam beim Glyndebourne Festival der Durchbruch – mit der Rolle der Isolde in „Tristan und Isolde“, mit der sie auch jetzt in New York triumphiert. Diese Rolle hat Nina Stemme dann auf vielen Bühnen dieser Welt gesungen; in Bayreuth, an der Wiener Staatsoper, am Royal Opera House in London. Die EMI-Einspielung dieser Aufführung aus dem Jahr 2005 mit Plácido Domingo als Tristan gilt noch heute unter Wagner-Kennern als Must.

Semjon Bytschkow

In London hat gerade Semjon Bytschkow die Saison 2016/17 am Royal Opera House eröffnet. Bytschkow dirigiert hier Mozarts Oper „Cosí fan tutte“ in einer Inszenierung des deutschen Regisseurs Jan Philipp Gloger (geb. 1981), der als einer der besten deutschen Nachwuchsregisseure gilt. Während Bytschkows Leistung am Dirigentenpult einhellig Lob der Kritiker erhält, hatte es Gloger beim Londoner Publikum schwerer. In den in der britischen Presse üblichen 5-Sterne-Bewertungen lag die Inszenierung meistens bei drei Sternen.

Wochenlang ausverkauft, ist die Aufführung noch einmal kostenlos am 12. November 2016 auf BBC Radio 3 zu hören oder für 2,99 Pfund über den Digitalkanal des Royal Opera House zu sehen. Auf der Website des Royal Opera House finden sich auch ein Dutzend Videos zur Inszenierung. Aber das Così fan tutte-Dirigat gilt nur als Vorspiel. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, schreibt der Economist dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, dass Bytschkow Nachfolger von Sir Antonio Pappano als musikalischem Leiter des Royal Opera House wird. Wichtige Jahre seiner Karriere verbrachte der 1952 in der damaligen Sowjetunion geborene, 1975 in den Westen emigrierte Semjon Bytschkow in Köln. Von 1997 bis 2010 war er Chefdirigent des WDR-Sinfonieorchesters.

In einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ am Ende seiner Kölner Jahre bekundete Bytschkow: „Es war eine der glücklichsten Perioden meines Lebens, künstlerisch wie menschlich. Das betrifft das weltoffene Wesen der Musiker wie des Kölner Publikums, ihre Lust, neue Erfahrungen zu machen.“ Auch heute blickt Bytschkow noch immer positiv auf seiner Kölner Zeit zurück: Auf seiner Website schreibt er: „Köln war eine der dankbarsten künstlerischen Erfahrungen für mich, in fast jeder Hinsicht.“ Von Bytschkows dreizehn Jahren an der Spitze des WDR-Sinfonieorchesters bleiben neben den Erinnerungen des Kölner Publikums auch eine ganze Reihe von CD-Einspielungen, darunter allein beim Londoner Plattenlabel Avie Records sieben CDs (Brahms, Schostakowitsch-Sinfonien).

Heute gilt die besondere Liebe Bytschkows dem russischen Komponisten Tschaikowsky, dem er sich die kommenden Jahre in einem groß angelegten „Tchaikovsky Project“ widmen will. „Ich habe Tschaikowskys Musik geliebt, so lange ich mich zurück erinnern kann“, bekennt Bytschkow. „Wie alle unsere ersten Lieben wird diese niemals sterben“. Mit Tschaikowsky wird Semjon Bytschkow in den nächsten Monaten auch mehrmals nach Deutschland (München, Hamburg, Leipzig, Berlin) kommen – allerdings nicht nach Köln.

Autor: Christoph Mohr | mikrofon_carlos_castilla_Fotolia.de