Köln | Es geht hoch her im Atelierzentrum Ehrenfeld, wo noch bis Ende der Woche die Ausstellung „Munaqabba – über Frauen in Vollverschleierung in Deutschland“ läuft. Nicht nur Frauen mit muslimischem Migrationshintergrund legten massiven Protest ein. Fotografin Selina Pfrüner erhält mittlerweile Drohungen. Wie sehen unabhängige Islamexperten das Ausstellungsprojekt? Wir fragten Susanne Schröter, Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam und Mitglied des Hessischen Präventionsnetzwerks gegen Salafismus.

Frau Professor Schröter, verstehen Sie die Kritiker der Ausstellung, darunter vor allem Frauen mit muslimischem Migrationshintergrund?
Ich verstehe die Kritik absolut und teile sie auch. Die Vollverschleierung steht für einen extrem frauenfeindlichen politischen Islam, der in der Ausstellung verharmlost wird. Gerade Frauen aus Ländern, in denen islamische Normen herrschen und all diejenigen, die sich der Zwangsverschleierung nicht beugen, erheblicher Repression ausgesetzt sind, müssen eine solche Ausstellung als Affront empfinden.

Laut der Fotografin verschleiern sich alle porträtierten Frauen freiwillig. Sind Ihnen Fälle aus Deutschland bekannt, in denen Frauen zur Vollverschleierung gezwungen werden? Wie repräsentativ ist die Ausstellung?
Ich gehe auch davon aus, dass sich die meisten Frauen, die in Deutschland einen Gesichtsschleier tragen, aus eigenem Antrieb dazu entschlossen haben. Es handelt sich um Salafistinnen, die dadurch ihre Gesinnung demonstrieren möchten.
 
Die Fotografin betont in ihrer Stellungnahme gegenüber report-k: „Das Projekt beschränkt sich nur auf Frauen, die in Deutschland in Vollverschleierung leben.“ Kann man Vollverschleierung in Deutschland von ausländischer Einflussnahme trennen?
Alle Spielarten des Islamismus sind mehr oder weniger an ausländische Organisationen und Akteure gebunden, deren Zentren u.a. in den Golfstaaten liegen. Islamismus und auch der dazu gehörende Salafismus sind transnationale Phänomene. Das bedeutet natürlich nicht, dass jede einzelne Frau unmittelbar aus dem Ausland gesteuert wird. Vollverschleierte Frauen sind allerdings Teil einer salafistischen Szene, die Beziehungen ins Ausland unterhält. Ich halte die Auslandsbeziehungen aber für weniger wichtig als den Inhalt der Ideologie.
 
Lässt sich Vollverschleierung in Deutschland generell dem Salafismus zuordnen? Was ist Salafismus, kurz gesagt?
Vollverschleierung ist Ausdruck eines Islamverständnisses, das wir im gegenwärtigen Diskurs als salafistisch bezeichnen. Der Begriff geht auf die arabische Bezeichnung al-salaf as-salih zurück, was die „altehrwürdigen Vorfahren“, also Mohammed und seine Gefährten meint, die als ultimative Vorbilder für Muslime der Gegenwart gelten.

Beim Salafismus handelt es sich um eine rückwärts gewandte Utopie, die sich an den Normen und Werten des 7. Jahrhunderts, d. h. an den Regularien der Frühzeit des Islam orientiert. Ein Teil der Salafisten befürwortet Gewalt, darunter Anschläge auf die Zivilbevölkerung, um eine islamische Ordnung herbeizuführen. Andere begnügen sich damit, in der eigenen Szene nach Regeln zu leben, die sie für islamisch geboten halten. Diese salafistische Strömung nennt man auch quietistisch, sich passiv und ruhig verhaltend.

Die Medien berichteten in den vergangenen Jahren viel über salafistisch beeinflusste junge Frauen, die sich radikalisierten und dem IS anschlossen. Die in der Ausstellung gezeigten Frauen scheinen lediglich „fromm“ zu sein. Sind die Unterschiede zwischen „frommem“ und militantem Salafismus grundsätzlich? Oder graduell? Kann salafistische Frömmigkeit nach Ihrer Beobachtung durch bestimmte Trigger in Militanz umschlagen?

Die Unterscheidung zwischen Salafistinnen, die Gewalt befürworten und solchen, die eher quietistisch orientiert sind, ist nicht grundsätzlich, sondern situativ. Alle Salafistinnen teilen eine totalitäre Ideologie, das Bestreben eine islamistische normative Ordnung durchzusetzen und ein grundsätzliches Bekenntnis zur Verbreitung des Islams. Bei der Frage, mit welchen Mitteln man diese islamistische Ordnung implementieren möchte, ist man sich nicht einig.

Aus der Forschung zu salafistischen Biographien weiß man, dass die Befürwortung zu Gewalt recht schnell abrufbar ist. Das gilt auch für die Akzeptanz der gewalttätigen Momente der idealen islamischen Gesellschaft. Diejenigen, die sich dem IS angeschlossen hatten, standen explizit hinter Massakern, Folterungen und Hinrichtungen, sowie hinter der Versklavung und Vergewaltigung von jesidischen Frauen und Kindern. Eine vernehmbare Distanzierung habe ich übrigens auch von quietistischen Salafistinnen vermisst.
 
Was halten Sie vom Ausstellungskonzept, das mit 11.000 Euro aus öffentlichen Mitteln gefördert wurde? Kann man Salafismus fotografisch analysieren oder ästhetisiert man ihn vielmehr? Ist es statthaft, Selbstaussagen von Salafistinnen zunächst unkommentiert zu präsentieren?
 
Die Ausstellung blendet das Grauen aus, das mit der salafistischen Ideologie verbunden ist: die Legitimierung von furchtbaren Menschenrechtsverletzungen, aber auch grundsätzlich das Faschistoide dieser Ideologie, die dann, wenn sie an der Macht ist, alle Menschen mit unvorstellbarer Repression zu einer vollkommenen Unterwerfung zwingt. Der Begriff der Frömmigkeit ist in diesem Zusammenhang irreführend – denn darum geht es wirklich nicht –, ebenso wie die Reduktion der Vollverschleierung auf ästhetische Momente. Die Schilderungen der Frauen sind wenig erhellend. Darin kommt primär eine Zustimmung zur islamistischen Verbotskultur zum Ausdruck.

Insgesamt erscheint mir das ganze Projekt von dem Bemühen getragen, den Salafismus durch die Präsentation sehr einseitiger Informationen und die vollständige Ausblendung einer kritischen Perspektive zu exotisieren und zu legitimieren. Die Förderung mit öffentlichen Mitteln halte ich für unsäglich. Man würde ja auch keine Werbeausstellung für Rechtsradikale und deren Ästhetik finanzieren und sollte meiner Meinung nach realisieren, dass Salafismus – in politische Kategorien übersetzt – nichts anderes ist als eine rechtsradikale Subkultur.

Das Interview führte Stephanie Sellier
(Die Fragen wurden schriftlich gestellt und beantwortet.)

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Autor: ag
Foto: Susanne Schröter, Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam und Mitglied des Hessischen Präventionsnetzwerks gegen Salafismus