Köln | Jede unbescholtene Bürgerin und jeder unbescholtene Bürger der sich vom Neumarkt über die Ringe zum Ebertplatz und von dort zum Breslauer Platz durch den Hauptbahnhof hindurch zum Bahnhofsvorplatz bewegt ist fast permanent der polizeilichen Videoüberwachung ausgesetzt. Die Initiative kameras-stoppen.org legte dagegen Klage vor dem Verwaltungsgericht ein und weist der Kölner Polizei massive Mängel in Aus- und Durchführung nach. Unter anderem schaltete die Polizei Köln bei einer Versammlung am 14.November 2019 auf dem Kölner Ebertplatz die stationäre Videoüberwachung, obwohl das Gesetz eindeutig ist und trotz richterlicher Anordnung, nicht aus und observierte die Versammlung. Ein klarer Rechtsbruch. Aktuell hält die Polizei Köln 75 Kameras in Betrieb, Ende März sollen es 78 Kameras der stationären Videoüberwachung sein. Die Initiative kameras-stoppen.org klagt vor dem Verwaltungsgericht. Im Interview mit report-K sprechen der Kläger Thorben Strausdat und der KlägeranwaltRechtsanwalt Michael Biela-Bätje

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Ein massiver Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der Kölner Bürgerinnen und Bürger

Kölnerinnen und Kölner müssen sich im Klaren sein, dass sie unkontrollierbar und anlasslos beobachtet werden. Ihre Bilder, ihr Verhalten und ihre Kontakte werden auf Servern der Kölner Polizei gespeichert, ohne dass sie als Bürger es mitbekommen.

So hätte die Polizei Köln am 14. November 2019 die stationäre Videoüberwachung auf dem Ebertplatz ausschalten müssen, als die Initiative kameras-stoppen.org eine Demonstration anmeldete. Obwohl das Versammlungsrecht Videoaufnahmen grundsätzlich verbietet, schaltete die Kölner Polizei die stationäre Videoüberwachung ein und gibt bis heute nicht bekannt wie viele Kameras wann rechtswidrig eingeschaltet wurden. Schlimmer noch der Vorsitzende Richter der 20. Kammer des Verwaltungsgerichts Köln wies die Polizei im Vorfeld der Kundgebung noch einmal extra schriftlich auf diesen Umstand hin. Ohne Erfolg: die Polizei Köln missachtete damit nicht nur das geltende Recht bei Versammlungen sondern auch noch das Gericht.

Um einmal die Dimension zu verdeutlichen: Der Geisterzug 2020 zog durch die Kölner Innenstadt als Demonstration am 15. Februar. Unter anderem passierte er auch den Kölner Hauptbahnhof. Dort hängen Kameras der Kölner Polizei. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Geisterzuges wissen nicht, ob die Kölner Polizei ihre Kameras angeschaltet ließ oder nicht. Die Polizei hätte die Kameras ausschalten müssen, als die Demonstration den Ort passierte. Ob sie dies tat ist nur zu klären, wenn jede und jeder einzelne Betroffene einen Antrag über die NRW-Datenschutzbeauftragte stellt. Und dann ist, wie kameras-stoppen.org es feststellte nicht klar, ob es zu einer nachvollziehbaren und Datenschutzrechtlich korrekten Auskunft kommt. Im übrigen rollen die Kölner Schull- und Veedelszöch als auch der Kölner Rosenmontagszug auch an diesen Kameras vorbei. Und da es sich dabei nicht um Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz handelt, können alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, aber auch Besucherinnen und Besucher gefilmt werden. Ob, wie und in welchem Umfang bleibt dabei im Dunkeln.

Oder nehmen wir konkret den Ebertplatz. Nicht nur das Urinal befindet sich direkt unter einer Polizeikamera, auch eine Zahnarztpraxis oder eine Rechtsanwaltskanzlei. Damit kann die Polizei verfolgen, wer in das Haus mit der Rechtsanwaltskanzlei geht. Die Hinweisschilder hängen übrigens bis zur Neusser Straße und Schillingstraße. Denn mit ihren Multifokuskameras kann die Kölner Polizei bis dorthin sehen, denn die Kameras können bis zu 160 Meter weit gestochen scharfe Bilder liefern.

Was wir wissen und was wir nicht wissen

Das laufende Verfahren vor dem Verwaltungsgericht in Köln macht deutlich, dass die Polizei im Kölner Stadtgebiet eine Kamera nach der anderen installiert, in Betrieb nimmt und damit den öffentlichen Raum 24 Stunden an sieben Tagen überwacht, anscheinend ohne sich um die Rechtsfolgen zu kümmern. Dies machen die Schriftsätze deutlich, die das Anwaltsbüro, dass die Kölner Polizei in dem Klageverfahren vertritt, herausgibt. Rechtlich muss die Kölner Polizei Protokolle fertigen, die das An- und Abschalten der Kameras mit Datum und Uhrzeit festhalten, bis zu einem Jahr abspeichern. Dies gilt daher, damit Bürgerinnen und Bürger ihren Informationsanspruch über die NRW-Datenschutzbeauftragte geltend machen können. Bei der Kölner Polizei werden diese teilweise nach weniger als drei Monaten überschrieben.

So kann die Polizei Köln bei drei Versammlungen in den Jahren 2018 und 2019 nicht mehr nachweisen, ob sie die stationären Kameras abgeschaltet hat. Zudem verfügt die Polizei Köln über keine gesetzlich vorgeschriebene Datenschutz-Folgeabschätzung, wie der Schriftsatz der Anwaltskanzlei vom 4. Juni 2019 im Verfahren zeige, so die Kläger. Diese schreiben: „Sie soll Folgen einer Datenerhebung abschätzen und dazu führen, dass bei der Datenerhebung möglichst die Grundrechte der Betroffenen und der Datenschutz gewahrt werden. Angeblich hat das Polizeipräsidium Köln diese Datenschutz-Folgeabschätzung inzwischen seit dem 21.08.2019 für die Bereiche Dom/Hbf und die Ringe. Sie liegt dem Gericht und der Klägerseite aber trotz Aufforderung bis heute nicht vor und kommt mindestens drei Jahre zu spät!“

Die Kläger werfen der Polizei zudem vor, dass sie kein gesetzlich vorgeschriebenes Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten führt, es kein Löschungskonzept und kein Konzept zur Sicherstellung des Datenschutzes gibt, denn entsprechende Unterlagen könnten von der Polizei Köln nicht vorgelegt werden. Seit 2017 gebe es keine Evaluierung, ob die Kameras und die dadurch gewonnenen Aufnahmensich für die Strafverfolgung eignen. Es gebe keine Behördeninterne Dienstanweisung für die Videoüberwachung kritisiert die Initiative. So schreibt die Initiative: „Seit spätestens Mai 2018 wurde die Videoüberwachung und ihre Aufzeichnung von anfänglich einigen Stunden die Woche auf 24 Stunden jeden Tag ausgeweitet. Der Polizei Köln ist im Verfahren nicht gelungen nachzuweisen, wer die rund um die Uhr Überwachung ab wann rechtskonform angeordnet und als notwendig begründet hat. Die 24-Stunden-Überwachung wird auch im Jahresbericht 2019 der Landesdatenschutzbeauftragten kritisiert.“

Wer kann aktuell die Videoaktivitäten der Kölner Polizei kontrollieren?

Nach den Erkenntnissen aus dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln ist deutlich, dass die Kölner Polizei Datenschutzvorschriften und die Schranken von Grundrechten und Gesetzen nicht einhält. Die Initiative fragt, welche Instanz die polizeiliche Datenerhebung ausreichend auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft und stellt fest: „Die Datenschutzbeauftragten der Länder sind personell so schlecht ausgestattet, dass sie dieser Aufgabe nicht in ausreichendem Maße nachkommen können. Das ergibt sich auch aus der Tatsache, dass die oben genannten Missstände und das rechtswidrige Verhalten der Polizei Köln nur durch die Klage eines Betroffenen überhaupt zu Tage getreten sind.Deshalb fordern wir weiter die sofortige Abschaltung und den Rückbau aller polizeilichen Videoüberwachungsanlagen in Köln!“

Autor: Andi Goral
Foto: Die Polizei Köln filmt in den höchstpersönlichen Lebensbereich von Menschen, die das Urinal am Ebertplatz benutzen.