Köln | Kölsches Liedgut verbreitet massenhaft Fake-News, das Chaos der Opernsanierung ist in Wahrheit eine Theaterinszenierung und – gleich eine doppelte Horrorvision: Schwaben und Koreas Diktator Kim Jong-un bestimmen demnächst, wo’s im Kölner Karneval lang geht: Die 34. Stunksitzung begeistert das Publikum wieder mit satirischer Phantasie, mit Klamauk, schwarzem Humor.

Der Themenbogen für den närrischen Rundumschlag ist weit gespannt: Lokales, Nationales und Internationales wird ebenso aufgespießt für Modetrends und persönliche Empfindsamkeiten. Dazu – wie immer – die fetzige Musik von Hausband Köbes Underground mit ihrem Chef Ecki Pieper und ihren verkölschten Coverversionen. Durch das – inklusive Pause – gut 200 Minuten dauernde Programm führt in bewährter Manier Biggi Wanninger.

Mit Trude Herr

Die schlägt auch wieder als Engelchen Trude Herr auf der Erde auf. Diesmal liest sie den Föttchesföhlern die Leviten, die es nicht nur auf Erden, sondern auch im Himmel gibt. Von den als Bunnys verkleideten Männern des Ensembles lässt sie sich umtanzen – weist aber die letzten Avancen zurück. Ihr Fazit zur #metoo-Kampagne: „Der durchschnittliche Mann hat ein Hirn und zwei Eier. Da sind die Mehrheitsverhältnisse doch schon klar!“. Naja, ein klein bisschen Zoterei muss auch im alternativen Karneval sein.

Auf höchstem Niveau dagegen die Talkshow-Parodie, bei der man das Beste von Loriot gelernt hat. Bei „Maybrit Maischberger“ dürfen sich die Gäste minutenlang allein mit den Worten „These“ und „Antithese“ duellieren, sich im Kampf ums Ausredenlassen verheddern oder …

Aus dem Ensemble Einzelne herausheben, ist ungerecht gegenüber den andeen. Trotzdem: Zwei seien hier genannt: Martina Klinke und Azan Okhan. Die eine – von Anfang an dabei – begeisterte als Gollum, der kleine gefährliche Widerling aus „Der Herr der Ringe“. Er kann sich nicht entscheiden, wem er Erst- und Zweitstimme geben soll, verzögert so das Endergebnis der Bundestagswahl um drei Monate. Vor allem weiß er nicht, ob er wieder die Grünen wählen soll – und wenn ja, welchen Flügel. Blitzschnell wechselt sie vom bösen Gollum, der den Grünen Verrat vorwirft, zum weichen, der sich an deren idealistische Anfänge erinnert.

Wild gackernde Hühner treffen auf Stadtpärchen

Azan Okhan reizt das Publikum zu Lachstürmen, wenn er als wild gackerndes Huhn einem Stadtpärchen die Sehnsucht nach dem Landleben austreibt. Und natürlich gibt er wieder den Migranten, diesmal den, der sich durch eine Ausbildung als Müllsortierer voll in die deutsche Trenn-Bürokratie mit ihren bunten Tonnen integriert hat. Nur beim Konfetti hat er die Mülltrennung aufgegeben…

Und was gibt es noch? Etwa die Schwaben, die an Karneval doch tatsächlich nicht in Haustüren, sondern in Beutel kotzen, die sogar die Geschäftsführung Sport beim 1. FC übernehmen. Da ist die Karnevalskamelle, nach der am Rosenmontag jeder ruft, die dann aber doch im Rinnstein liegen bleibt. Der Büttenredner, der nach seinem närrischen Spott auf die Frisur von Sitzungspräsident Kim Jong-un mit Rakete nach Ossendorf verabschiedet wird. Schließlich die Nubbel, die nicht mehr an allem schuld sein wollen und in den Streik treten.

Karl Marx und Mario Barth

Karl Marx darf Witze mit Bart erzählen, insbesondere die von Mario Barth. Der Zustand der SpD wird ebenso aufs Korn genommen wie der Pflegenotstand. Die Stunker zeigen, was passiert, wenn Quereinsteiger Lehrer werden dürfen: Der Pantomime, der Propagandist, der Pantomime, die Kosmetikerin oder der Mafiaboss. Ein Theaterregisseur nutzt die Opernsanierung als Probe für „Der Polier von Sevilla“, Premiere im Jahr 2040 („Das ist kein Schlagbohrer, das ist dein Phallus“, feuert er einen Bauarbeiter an: „Ich will Gefühle seh’n: Fick die Wand!“).

Die trendy rosa Einhörner erobern die Bühne – auf ihnen reiten kiffende Easy Rider, Darth Vader und sein „Fohlen“ Luke Skywalker („Komm auf die rosas Seite der Macht“), Winnetou und Old Shatterhand. Das ist poetischer Klamauk, ganz Poesie ist das Tischtheater, das als türkische Hochzeit beginnt und mit dem Aufruf „Free Deniz Yücel“ endet. Und explizit politisch wird es auch in einer nicht minder einfühlsamen Nummer, in der es um die Wassernot in südlichen Ländern geht: Erst machen sich die Stunker nass von oben bis unten – dann duschen sie mit Sand.

Was ist mit Schunkeln

Etwas merkwürdig: In diesem Jahr gibt’s keinen Aufruf zum Schunkeln. Wohl aber in bester Tradition zum Mitsingen, wenn es gilt die Fake-News im kölschen Liedgut zu bereinigen – und da machen alle mit: Denn tatsächlich ist Frau Schmitz ist nicht durchgebrannt, sondern wurde von ihrem Ehemann verbrannt, die erste Freundin hieß nicht Käthchen, sondern Dieter, und so superjeil war die Zeit früher auch nicht.

Bevor dann alles im exakten Schlussballett aller Stunk-Mitglieder endet und der lange Premierenbeifall aufbraust, steigert sich das komplette Ensemble vom „Flüsterchor“ („Highway to hell“ als neues Hörerlebnis) per „body-percussion“ zu einem lautstarken Orchester.

[infobox]Bis Karnevalsdienstag findet die Stunksitzung insgesamt 52 Mal im E-Werk statt. Termine und Restkarten unter www.stunksitzung.de

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Autor: ehu | Foto: Stunksitzung
Foto: Biggi Wanninger führt wieder in bewährter Manier und mit spitzen Bemerkungen zum aktuellen Tagesgeschehen durch die Stunksitzung. Foto: Stunksitzung