Interview mit Michael Kokott, unter anderem Leiter des Jugendchors St. Stephan, der Lucky Kids und des i-Chors

Köln | Micheal Kokott zur aktuellen Situation der von ihm betreuten Chöre und dem Umgang mit der Coronapandemie.

Wie erleben Sie aktuell die Situation im zweiten Lockdown?

Michael Kokott: Man hat den Blick immer auf der aktuellen Entwicklung und wartet ab. Das Ganze dauert jetzt schon sehr lange. Mit dem ersten Lockdown im März mussten meine Chöre gut 20 Wochen pausieren. Dann hatten wir wieder zehn Wochen, in denen wir proben konnten. Es war schön, dass ich alle meine Chöre in dieser Zeit wieder zum Singen bringen konnte. Es war nicht leicht, die passenden Räume zu finden, um den vorgeschriebenen Abstand einhalten zu können. Mit dem Jugendchor St. Stephan waren wir zum Beispiel im Parkhaus Brückenstraße. Da gab es viel Platz, eine gute Durchlüftung und eine sehr gute Akustik. Später haben wir auch mal die Live Music Hall in Ehrenfeld für Proben genutzt. Mit dem Männerchor war ich zum Proben im Brauhaus und mit anderen Chören ging es in Kirchen. Allerdings ist es schon etwas befremdlich, wenn man wie im Juli drei bis vier Meter Abstand halten muss. Chorsingen ist ja eine gemeinsame Aktion, aber mit dem Abstand hat es sich für die Sänger so angefühlt, als wären sie Solisten. Da fehlt dann die Nähe zu den anderen Sängern. Interessant war, dass sich mit der neuen Raumsituation auch der Sound der einzelnen Chöre verändert hat.

Wie ist aktuell die Lage?

Kokott: Seit elf Wochen pausieren wieder alle Chöre. Jetzt wäre eigentlich unser Karnevalsprogramm an der Reihe gewesen. Ich fürchte, dass es noch mal so lange dauern wird, bis wir wieder singen können. Ich hatte darauf gehofft, dass nach Weihnachten alles vorbei ist und jetzt müssen wir damit rechnen, dass sich vor Ostern nichts ändern wird. Anderseits ist es konsequent und richtig, dass wir den Lockdown jetzt durchziehen, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Das ist für einen Chorleiter natürlich keine optimale Situation, aber ich werde das aushalten und warte darauf, bis wir endlich wieder loslegen können.

Welche Folgen hat das für die Chöre?

Kokott: Ein Chor lebt von der Gemeinschaft. Diese Situation ist deshalb eine echte Herausforderung und es gibt andere Chöre, die auseinandergebrochen sind. Bei meinen Chören konnte ich das erfolgreich verhindern. Ich schreibe regelmäßig Rundmails und wir haben schon mehrere Homevideos gemeinsam produziert, mit denen wir mehr als eine Million Menschen erreicht haben. Das wäre mit den üblichen Konzerten nicht möglich gewesen. Aktuell planen wir als Nächstes ein Karnevalsvideo. Diese gemeinsame Arbeit hat alle Chormitglieder erfreut, das kann man allerdings nicht ewig machen. Irgendwann verpufft der Effekt. Die Leute sehnen sich danach, sich endlich wieder live zu sehen und gemeinsam zu singen.

Wie reagieren die Chormitglieder?

Kokott: Es wird Chormitglieder geben, die in dieser Situation abspringen wollen. Das war bislang bei etwa zehn Prozent der Fall. Das ist bedauerlich, aber es gibt auch in normalen Zeiten immer wieder Abmeldungen. Problematisch wird die Situation, wenn das Ganze noch bis zum Sommer dauert. Dazu kommt, dass wie im vergangenen Sommer der Freizeitsport früher wieder erlaubt war als das gemeinsame Singen. Da haben dann Kinder den Sport als die bessere Alternative angesehen. Für ein achtjähriges Kind ist so eine lange Pause im Leben deutlich gravierender, als das bei den erwachsenen Sängern der Fall ist. Was ich mich frage, ist, wie bringen wir die Chöre wieder auf die Bühne? Bleibt es bei Abstandsregeln, können wir keine Massen an Sängern auf eine Bühne stellen. Das ist aber gerade das, was einen Chor ausmacht. Trotzdem bin ich mir fast sicher, dass es, sobald sich die Situation normalisiert, einen Chorboom auch in Köln geben wird. Das Erlebnis der Gemeinschaft wird wichtiger werden denn je.

Wie sieht aktuell Ihr Berufsalltag aus?

Kokott: Ich habe eine junge Familie mit drei Kindern, da gibt es viel zu tun. Ich versuche, als Chorleiter zudem neue Projekte zu organisieren und zu koordinieren. Wir hatten zum Beispiel mit einigen Seniorensängern einen Auftritt in einem Actionfilm und waren mit verschiedenen Chorgruppen beim Fortsetzungsfilm von „Club der roten Bänder“. Der Jugendchor war beim ARD-Film „Goldjungs“ dabei und mit den Lucky Kids war ich bei der Weihnachtsshow von Carmen Nebel. All das muss ich von zu Hause aus vorbereiten.

Was ist für dieses Jahr geplant?

Kokott: Wir wollen einiges an Auftritten nachholen, die im vergangenen Jahr wegen der Pandemie abgesagt worden sind. Das zählen zum Beispiel das Sommerkonzert in der Philharmonie, die Weihnachtskonzerte in der Oper und das Weihnachtssingen im Stadion. Ob das funktioniert, steht aber noch in den Sternen. Außerdem haben wir bei Flo Peil von Kasalla neue Lieder in Auftrag gegeben. Aber was nützen die schönsten neuen Lieder, wenn man sie nicht vor Publikum aufführen kann?

Zu Ihren Chören gehört auch der i-Chor.

Kokott: Die Idee zum inklusiven Chor kam von der Chorsängerin Andrea Becker vor etwa zwei Jahren. Es ging um einen echten inklusiven Chor mit Sängern mit und ohne Behinderung zu gleichen Teilen. Das ist uns gut gelungen und war für mich als Chorleiter eine ganz neue Erfahrung. Das musikalische Ergebnis in so einem Chor ist ganz anders. Das liegt auch an der Mehrstimmigkeit, die entsteht, weil jeder Sänger in der Stimmlage singen kann, die ihm am besten liegt. Das ergibt ein ganz neues Klangbild. Großartig war, dass wir schon nach kurzer Zeit mit dem Inklusionspreis des Landes NRW ausgezeichnet worden sind. Was noch fehlt, ist eine gemeinsame Feier. Der Preis konnte leider nur online verliehen werden.

Welche Rolle spielt Köln als Chorstadt?

Kokott: Wer in dieser Stadt in einem Chor singen möchte, findet den passenden Chor für sich. Wir haben hier ein sehr breites Spektrum. Es gibt Kirchenchöre und klassische Chöre, Gospel und Unterhaltungschöre. Laienchöre finden sich genauso wie professionelle Konzertchöre. So ein Facettenreichtum ist für eine Stadt nicht selbstverständlich.

Was macht Ihnen im Moment Hoffnung und was Sorgen?

Kokott: Hoffnung macht mir, dass die Menschen erkennen, dass man nur gemeinsam gegen die Pandemie ankämpfen kann. Wenn man an einem Strang zieht und solidarisch ist, geht das Ganze viel schneller vorbei. Hoffnung macht mir auch die Impfung. Bis diese wirklich wirkt und die Normalität zurückkehrt, wird es allerdings noch lange dauern. Sorgen macht mir natürlich in dieser Situation die Gesundheit meiner Familie, wo es auch Menschen gibt, die zur Hochrisikogruppe gehören.

Autor: Von Stephan Eppinger | Foto: Daniela Decker
Foto: Michael Kokott