Köln | Dunkel ist’s, wenn das Spiel beginnt. Und dunkel wird es auch meistens bleiben. Schließlich war die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs auch ein düsteres Kapitel in der europäischen Geschichte. Vor 400 Jahren ging er zu Ende – seine Schrecken holt Schauspiel-Intendant Stefan Bachmann jetzt mit der Dramatisierung des Bestsellers „Tyll“ von Daniel Kehlmann in die Gegenwart.

Es ist ein bombastisches Bild, mit dem er die Zuschauer erschlägt. Die ganze Bühne im Depot 1 ist bis über die Knöchel mit Wasser geflutet (aus Fürsorgepflicht gegen über dem Ensemble wurde es angewärmt, so ist zu erfahren). Die querstehenden Wände zu den Seitenbühnen erinnern an U-Boot-Bunker, dazwischen und aus dem im Dunkeln verschwimmenden Hintergrund tauchen die elf Schauspielerinnen und Schauspieler auf.

Die Schauspieler waten durch Wasser und glitzernde Tropfen

Sie waten und staksen durchs Nass, tanzen auf unsichtbarem Seil, sinken tot in die Flut. Schwedenkönig Gustav Adolf darf eine Runde Rückenschwimmen. Es platschen und spritzen die Tropfen, dass es eine wahre Lust ist. Die bunten Barockkostüme aus wasserabweisendem Plastik spiegeln sich im sparsam erleuchteten Wellenspiel. So bleibt alles ohne feste Konturen, Unsicherheit beherrscht die Szene. Krieg eben, bei dem eine wilde Soldateska das Land verwüstet. Freund und Feind tun sich da nichts. Dumpf wummernde Bässe, bei denen sogar die Zuschauersessel mit schwingen, unterstreichen die bedrohliche Atmosphäre.

In diese Welt hat Kehlmann die Geschichte des Narren Till Eulenspiegel versetzt, Tyll Ulenspiegel heißt er hier. Bachmann konnte sich als Erster die Aufführungsrechte daran sichern. Nun hält er sich eng an den Romantext, stellt in allerdings um, erzählt von hinten, beginnt kurz vor dem Ende des Kriegs. Es ist eine Inszenierung, die neben den Bildern vor allem auf den Text setzt, die Sprache. Das hört sich dann allerdings allzu oft wie das Verlesen von Regieanweisungen an, die die eher spärlichen Handlungen begleiten.

Das elfköpfige Ensemble teilt sich 36 Rollen auf

Doch Ines Marie Westernströer vermag als nüchterne Erzählerin zu fesseln. Gleichzeitig übernimmt sie noch drei weitere Rollen. Wie auch ihre Kolleginnen und Kollegen in aller Vielfalt Überzeugendes leisten: Insgesamt 36 Rollen müssen gefüllt werden. Lediglich Peter Miklusz als Tyll und Kristin Steffen als Nele dürfen sich auf eine konzentrieren. Und so tauchen auf Soldaten und Diplomaten, Herrscher und Volk, ein Esel, Gelehrte, Künstler und Geistliche.

Zurück zum Anfang: Der deutsche Kaiser Ferdinand III. schickt Martin von Wolkenstein los, er soll den inzwischen berühmten Tyll als Hofnarren nach Wien holen. Bevor sie ihn im Kloster Andechs treffen, geraten sie noch in die Schlacht von Zusmarshausen, die letzte Schlacht des langen Kriegs. Erst nach diesem Kapitel – alle werden durch Projektionen mit Zeit- und Ortsangabe angekündigt – nimmt das Stück seinen chronologischen Verlauf.

Tyll erlernt bei einem Gaukler das Handwerk des Narren

Das Publikum erlebt, wie Tylls Vater, ein heilkundiger Bäcker, von einem Jesuiten der Hexerei beschuldigt und zum Tode verurteilt wird. Auch hier hat Bachmann wieder ein eindringliches Bild: Wenn Vater Ulenspiegel am Henkersseil emporschwebt, erinnert dies an einen (armlosen) Jesus am Kreuz. Bevor ihn dasselbe Schicksal ereilt, flieht Tyll mit der Müllerstochter Nele, sie schließen sich dem Gaukler Pirmin (Robert Dölle) an. Der lehrt sie sein Handwerk, doch weil er sie quält, ermorden sie ihn. Fortan werden sie von einem klugen Esel begleitet.

Später trennen sie sich. Nele heiratet einen Adligen, Tyll mehrt seinen Ruhm als Narr, der den herrschenden den Spiegel vorhält, vorhalten darf. Als er in einen Schacht der Mineure gerät, die das von Schweden belagerte Brünn verteidigen, zieht noch einmal sein ganzes Leben an ihm vorbei.

Der böhmische König stirbt in Tylls Armen

Zwischen den Tyll-Kapiteln wird das politische Umfeld ausgebreitet. Da ist der zögerliche pfälzische Kurfürst Friedrich V. (Marek Harloff) , der von seiner Frau Elisabeth „Liz“ Stuart (Melanie Kretschmann) gedrängt wird, die böhmische Königswürde anzunehmen. Oder war es anders? Nicht nur hier gibt es unterschiedliche Erinnerungen. Er kann sich kein Jahr auf dem Thron halten, verliert gegen die kaiserlichen Truppen die „Schlacht am Weißen Berg“ und leitet so ungewollt den Dreißigjährigen Krieg an. Fortan irrt er als „Winterkönig“ verspottet schutzsuchend durch Europa. Er stirbt 1632 – dichterische Freiheit – einsam in den Armen von Tyll.

Elisabeth Stuart aber gibt nicht auf, will für ihren Sohn um die böhmische Königswürde verhandeln. Bei den Friedensgesprächen von Münster und Osnabrück – wer will, kann hier Parallelen zu den internationalen Verhandlungen um den syrischen Bürgerkrieg sehen – erleben wir sie als Ausgestoßene, die um ihre Würde kämpft. Und um Tyll. Doch der lehnt es ab, in ihrem Dienste alt zu werden.

Nur wenige Zuschauer kehren nach der Pause nicht ins Depot 1 zurück. Wer die fast vier Stunden durchgehalten hat, belohnt am Ende – noch bevor es wieder hell wird – alle Beteiligten mit kräftigem und langem Premieren-Beifall.

„Tyll“ – die weiteren Vorstellungen: jeweils 19 Uhr am 21., 26., 29. (18 Uhr) und 30. September (16 Uhr), 11., 14. und 20. Oktober. Schauspiel Köln, Depot 1 im Carlswerk, Schanzenstr. 6-20, 51063 Köln-Mülheim, Karten: Tel. 0221 / 22 12 84 00, Fax 0221 / 22 12 82 49, alle Vorverkaufsstellen von KölnTicket. Kartenservice mit Vorverkauf und Abo-Büro in der Opernpassage zwischen Glockengasse und Breite Straße.

Autor: ehu
Foto: Bestseller-Roman „Tyll“ wird in Köln erstmals auf die Bühne gebracht – mit Robert Dölle, Melanie Kretschmann, Marek Harloff und Peter Miklusz (v.l.). Foto: Tommy Hetzel / Schauspiel