Köln | Andrées Polarexpedition von 1897 – ein eher unüblicher Stoff für die Bühne. Das Theaterkollektiv subbotnik nimmt seine Zuschauer mit auf eine waghalsige Reise zum Nordpol. Startpunkt des multisensorischen Ballonfluges mit Live-Performance und Musik ist die Kölner Orangerie.

Ein bisschen kommt man sich als Zuschauer vor wie beim Physikunterricht seines Lieblingslehrers. Der Overheadprojektor wird angeschmissen, Ingenieur Salomon August Andrée zückt seinen schwarzen Filzstift und malt einen etwas verkümmerten Kreis auf die Folie: „Sie mögen schon einmal einen Ballon gesehen haben. Der schaut ungefähr so aus.“ Gelächter im Publikum.

Der Charme und trockene Witz des schwedischen Ingenieurs und Polarforschers, der von Martin Kloepfer gespielt wird, steckt bereits zu Beginn des Stückes an. Interessant ist, warum wir lachen. Ein großer Teil der Zwerchfellkontraktion ist der Absurdität geschuldet, als uns Andrée erklären will, dass er mit einem Wasserstoff gefüllten Ballon über das Nordpolarmeer nach Alaska, Kanada oder Russland reisen will. Gelenkt durch Schleppseile und Segel.

Forscher-Casting, Pfeifenduft und schwedische Folklore

Andrée möchte seine Reise nicht allein antreten und sucht Mitstreiter für sein waghalsiges Unterfangen. Fünf Doktoren der Philosophie haben sich gemeldet, ein Professor und diverse Ausländer. Aber das hier ist eine schwedische Expedition. Das wird spätestens mit den überaus heiteren im Chor gesungenen Intermezzi in schwedischer Sprache deutlich. Da wir diese nicht verstehen, lachen wir wieder, achten auf Wortfetzen wie „Luftballon“, „Ingenieur“ und „Andree“ und geben uns in erster Linie der grandiosen Komposition hin, die von Henning Nierstenhöffer auf der Posaune und Daniel Brandl am Cello begleitet wird.

Nebst Fotografen und Wissenschaftler Nils Strindberg (Kornelius Heidebrecht) entscheidet sich Andrée für den jungen Ingenieur Knut Frænkel (Oleg Zhukov): „Sie musizieren? – Nein. Ich fürchte mich ein wenig vor Schöngeistern. Die haben nämlich am Nordpol nichts verloren.“ Und so machen sich die drei Männer kurzerhand auf. Steigen in den Korb, bestehend aus drei Klappstühlen, die auf einem ebenfalls ausklappbaren Tisch stehen.

Doch die reduzierte Requisite kommt einem nicht reduziert vor. Zhukov nimmt mit einem Mikrofon das Knarzen eines Picknickkorbes auf. Später raucht Andrée Pfeife. Der süßliche Duft des Tabaks steigt einem in die Nase, während das Licht der Neonröhren für eisige Kälte in unseren Köpfen sorgt.

Wenn aus Heiterkeit bitterer Ernst wird

„Donnerstag. Dritter August. Südlicher Wind. Zum Frühstück: Gebratener Eisbär“, liest einer der Forscher aus seinem Tagebuch vor. Es ist besonders die Mischung aus Gesang, Tanz, Performance und Hörspiel, die die Zuschauer 90 Minuten exzellent unterhält. Es sind aber besonders die Passagen der Tagebücher, die aus der heiteren Aufbruchstimmung bitteren Ernst werden lassen. Hunger, Müdigkeit, Diarrhöe, Furunkel.

Und auch, wenn besonders Heidebrecht und Kloepfer im Schauspiel zu begeistern wissen und Zhukov bedauerlicherweise in den so wunderbar beschriebenen Tagebucheinträgen das ein oder andere Mal den Faden verliert: Am Ende bleibt eine wirklich gelungene Inszenierung, die vom Publikum entsprechend mit viel Applaus gehuldigt wurde.

[infobox]„Die weiße Insel“ – die nächsten Vorstellungen: 22. und 23. Februar, jeweils 20 Uhr, 24. Februar (18 Uhr). Orangerie Theater im Volksgarten. Volksgartenstraße 25, 50677 Köln. Karten unter 0221 – 9522708 und info@orangerie-theater.de

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Autor: Von Bettina Freund | Foto: Ralf Puder
Foto: Oberingenieur Salomon August Andrée (Martin Kloepfer) möchte in die Fußstapfen des großen Fridtjof Nansen treten und den Nordpol erforschen.  | Foto: Ralf Puder