Köln | Klinikchefin Dr. Diffidentea möchte, dass alle Leute glücklich sind. Doch welchen Preis müssen die Insassen der Irrenanstalt dafür zahlen? Schülerinnen der Bischöflichen Marienschule Mönchengladbach und Studierende der Theaterakademie Köln erarbeiteten gemeinsam ein paradox-paranoides Stück, das in der Orangerie Premiere feierte.

Tanzpionierin Pina Bausch nutzte in „Kontakthof“ die Erfahrungen und Eindrücke der 14- bis 65-Jährigen ihrer Darstellerinnen, um Theatergeschichte zu schreiben. Es wäre anmaßend, gleiches vom Stück einer Theater-AG und von Schauspielschülern zu erwarten. Trotzdem muss man Philipp Birkmann (Text/Regie), Anna Sander (Dramaturgie) und Isabella Kolb (Projektleitung) mangelnde Kreativität ankreiden. Denn vom versprochenen „magischen Zusammenspiel und einem buntem Geflecht aus Witz, Tragik und Philosophie“ ist wahrlich nichts zu merken.

Irgendwas zwischen „Shutter Island“ und „Die Physiker“

Die Bühne wirkt trostlos. Schwarze und silberne Mauern wechseln sich ab. Doch ist die Welt so schwarz und weiß? In einer Irrenanstalt kämpfen die Insassen ums tägliche Überleben und darum, ihren Verstand nicht endgültig zu verlieren. Der gemeinsame Wunsch zu fliehen wird immer größer. Kein wirklicher neuer Ansatz, er wirkt hier wie ein komischer Hybrid aus Scorseses Meisterwerk „Shutter Island“ und Dürrenmatts „Physiker“. Letzter Ausweg: Aufstand.

22 Darsteller, 2 Stunden Spielzeit – zu viel und zu lang

Es fehlt besonders eines: Mut. Mut zur Interaktion. Mut, klassisches Sprechtheater zu verlassen. Mut zu Kürze und Prägnanz. So sitzt das Premierenpublikum – Mitschülerinnen, Lehrern und stolzen Eltern – da und bewundert ihre Kinder und Schützlinge. Von denen gibt es viele. 22 Darstellerinnen und Darsteller spielen 120 lange Minuten.

Diese Masse ist nicht einmal das Problem, denn jede Rolle ist doppelt besetzt. Es ist sogar schön zu sehen, wie sich schauspielerische Kompetenzgrenzen vermischen. Wie stark etwa die Schülerin Lili Better eine Insassin der Irrenanstalt spielt, die an eine Alien-Invasion glaubt und im nächsten Moment so kontrolliert und klar im Kopf erscheint. Eine so starke Leistung, mit der sie einige Schauspielstudentinnen an die Wand spielt.

Wenig Austausch und Innovation

Doch ein Stück allein lebt nicht nur von schauspielerischer Leistung. Wo die erste Hälfte zu lange in der Irrenanstalt verweilt und Aufstand für Aufstand probt, bis die Flucht gelingt, verliert sich die zweite Hälfte – fünf Jahre später angesiedelt – im wirren, nicht mehr nachvollziehbaren Plot-Twist. Neue Antagonisten kommen hinzu, verstärken Dystopien und potenzieren individuelle Albträume und Traumata. Alles so nachvollziehbar und damit so unspektakulär. War es in der Irrenanstalt vielleicht doch besser als hier in Freiheit?

Am Ende bleiben mäßig gute Einzelporträts

Was auffällt ist der spärliche Austausch zwischen Jungen und Älteren. Wir sehen zwei Stücke, die lose miteinander operieren und doch so anders sind. Obwohl die zweite Hälfte inszenatorisch einiges spannender macht, bleiben Fragen nicht nur ungeklärt, sondern multiplizieren sich. Am Ende bleiben mäßig gute Einzelporträts von Menschen, die alle ihre psychischen Probleme haben.

So stolz Lehrer, Eltern und Freunde auch sein mögen, der Applaus währt nicht übermäßig lange. Dafür hinkt das Stück, lässt zu viel Fragen unbeantwortet und lähmt den Geist. Schade, denn besonders die Schülerinnen des Drama-Clubs zeigen unausgeschöpftes, schauspielerisches Potenzial.

[infobox]„Ich glaub ich werd irre!“ – die Vorstellungen: 18. bis 20. Oktober, jeweils 20 Uhr. Orangerie Theater im Volksgarten, Volksgartenstraße 25, 50677 Köln

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Autor: Von Bettina Freund
Foto: Junge Talente der Bischöflichen Marienschule Mönchengladbach machen sich bei „Ich glaub ich wird irre“ Gedanken, was es heißt „verrückt“ zu sein. Foto: Isabella Kolb.