Berlin | Der türkische Botschafter in Deutschland, Ali Kemal Aydın, hat den Kurden in Deutschland eine erhöhte Gewaltbereitschaft vorgeworfen. Die Kurdische Gemeinde ruft zur Mäßigung auf und das Bundesinnenministerium sieht einen hohen Emotionalisierungspotenzial.

Seit Beginn der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien „beobachten wir bedauerlicherweise deutschlandweit einen Anstieg der gewalttätigen Demonstrationen und Anschläge durch PKK-nahe Elemente auf unsere Landsleute sowie ihre Einrichtungen und Geschäfte“, sagte Aydın den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Mittwochsausgaben). Bisher seien Dutzende türkische Supermärkte, Cafés, Moscheen, Lokale und Sportclubs angegriffen und mindestens sechs türkische Staatsbürger verletzt worden, so der Diplomat.

Die türkische Gemeinde in Deutschland fühle sich dadurch bedroht. Die Botschaft rate den Türken, Ruhe zu bewahren und sich nicht provozieren zu lassen. Gleichzeitig erwarte er von den deutschen Behörden umgehend erhöhte Sicherheitsmaßnahmen für den Schutz des Lebens und Eigentums türkischer Bürger.

Ausschreitungen in Herne: Kurdische Gemeinde ruft zur Mäßigung auf

Nach den Ausschreitungen bei Kurden-Demonstrationen am Montagabend im nordrhein-westfälischen Herne hat der Dachverband der Kurden seine Mitglieder zur Mäßigung ausgerufen. „Unsere Botschaft lautet: Lasst euch nicht provozieren. Reagiert nicht auf die Provokationen von türkisch-nationalistischer Seite“, sagte der Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde Deutschland, Ali Ertan Toprak, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Mittwochsausgaben).

Bereits nach dem Einmarsch der Türken in Nordsyrien habe die Kurdische Gemeinde sofort alle Dachverbände und Vereine in Köln versammelt. „Wir kommunizieren die ganze Zeit gegenüber unseren Mitgliedern und allen kurdischen Vereinen: Wenn es zu Ausschreitungen kommt, wird es unserer Sache schaden“, so der Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde weiter. Beide Seiten seien derzeit hoch emotionalisiert.

„Bei den Kurden in Deutschland ist die Enttäuschung über den Verrat der Amerikaner in Nordsyrien groß. Sie haben Angst um ihre Verwandten in der Region und demonstrieren aus ihrer Verzweiflung heraus“, so Toprak. Auf Seiten der Türken gebe es eine „nationalistische Emotionalisierung“.

Die Gefahr von Provokationen bei Demonstrationen der Kurden sei sehr hoch. Insbesondere Jugendliche seien hierfür anfällig. „Vor diesem Hintergrund kann es ganz schnell zu Ausschreitungen kommen“, sagte Toprak den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Kurdenkonflikt: Innenministerium sieht „hohes Emotionalisierungspotential“

Das Bundesinnenministerium sieht in dem Konflikt zwischen Türken und Kurden auch hierzulande ein „hohes Emotionalisierungspotential“. Im Zusammenhang mit der türkischen Militäroffensive würden bereits „seit geraumer Zeit Mobilisierungsaktivitäten kurdischer und deutscher linker Organisationen verzeichnet“, sagte ein Sprecher der „Welt“ (Mittwochsausgabe). Es sei „nicht auszuschließen, dass es aufgrund des hohen Emotionalisierungspotentials des Themas vereinzelt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen am Rande solcher Veranstaltungen“ kommen könne.

Eine Verschärfung der Gefährdungslage sei derzeit zwar „nicht erkennbar“, so der Sprecher weiter. Je nach „weiterem Umfang, Dauer und Intensität“ der militärischen Offensive der Türkei in den kurdischen Gebieten in Nordsyrien sei „allerdings mit einer möglichen Zunahme beziehungsweise Ausweitung der Protestaktionen zu rechnen“, sagte der Sprecher des Innenministeriums. Die deutschen Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern stünden darüber „in ständigem Austausch“ und ergriffen „die notwendigen Maßnahmen, um Eskalation und gewalttätige Ausschreitungen zu verhindern“.

Innenexperten mehrerer Bundestagsfraktionen riefen Kurden und Türken zu Mäßigung auf. „Allen Menschen in Deutschland muss klar sein: Wir dulden keine gewalttätigen Auseinandersetzungen, erst recht nicht die Austragung ausländischer Konflikte“, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU), der „Welt“. Auch Türken und Kurden hätten zu respektieren, „dass wir hierzulande friedlich zusammen leben wollen“, so der CDU-Politiker weiter.

Die „Grundsätze unseres Rechtsstaates“ seien für „alle hier Lebenden“ verbindlich, sagte Irene Mihalic, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Verständnis für die Kurden äußerte Lars Castellucci, Innenexperte der SPD-Bundestagsfraktion. Diese hätten „allen Grund, sich gegen das völkerrechtswidrige Vorgehen der türkischen Armee zu empören“, sagte er.

„Gewalt darf bei den Auseinandersetzungen allerdings auf keiner Seite eine Rolle spielen“, so der SPD-Politiker weiter. Gökay Sofuoglu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, sieht die Verbände in der Pflicht: „Wir müssen unsere Mitglieder zur Besinnung aufrufen. Es ist wichtig, dass wir Türkeistämmigen in Deutschland die Ruhe bewahren“, sagte Sofuoglu der „Welt“.

Autor: dts