Brüssel/London | Großbritannien hat am Mittwoch formell den Antrag zum Austritt des Landes aus der Europäischen Union gestellt. Der britische EU-Botschafter Tim Barrow überreichte den offiziellen Austrittsbrief am Mittag in Brüssel an EU-Ratspräsident Donald Tusk. Die britische Premierministerin Theresa May hatte das Schreiben bereits am Dienstagabend unterzeichnet. Mit Stimmen und Reaktionen.

Damit löst die britische Regierung Artikel 50 des EU-Vertrags aus und macht den Weg für die Brexit-Verhandlungen frei: Die Verhandlungspartner haben genau zwei Jahre Zeit, die Bedingungen für das Austreten Großbritanniens aus der EU zu verhandeln. Eine Verlängerung wäre nur mit der Zustimmung der übrigen EU-Staaten und der Londoner Regierung möglich. Ausgangspunkt für den Brexit war ein Referendum: Am 23. Juni 2016 stimmten 51,89 Prozent der britischen Wähler für den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs.

May sieht beim Brexit kein Zurück mehr

Die britische Premierministerin Theresa May sieht in der formellen Austrittserklärung an die EU einen „historischer Moment, von dem es kein Zurück mehr gibt“. Das sagte May am Mittwoch im Unterhaus des britischen Parlaments. „Großbritannien verlässt die Europäische Union.“

Man wolle ein Großbritannien schaffen, dass „stärker und fairer“ als heute sei. „Unsere besten Tage liegen vor uns.“ May bekannte sich zu „den liberalen Werten Europas“.

Die britische Premierministerin Theresa May will auch nach dem Brexit besonders enge Beziehungen zu Deutschland pflegen. „Deutschland und Großbritannien sind sehr oft mit starker, vereinter Stimme in der Welt aufgetreten“, schreibt sie in einem Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Donnerstagsausgabe). „Wir wissen diese dauerhafte Freundschaft und Partnerschaft zwischen unseren Ländern sehr zu schätzen.“

Großbritannien wolle „Deutschland und allen unseren anderen Freunden auf dem Kontinent ein engagierter Partner und Verbündeter bleiben“. May betonte die intensiven wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern, die sich unter anderem darin äußerten, dass 400.000 Briten für deutsche und 250.000 Deutsche für britische Unternehmen arbeiteten. „Außerdem gibt es komplexe Lieferketten, von denen beide Länder profitieren.“

Deutsche Unternehmen sollten auch künftig die gleichen Möglichkeiten in Großbritannien haben wie britische Unternehmen in der EU. „Wenn unnötige Schranken errichtet würden, wäre das für uns alle schädlich“, schreibt May. Unter Verweis auf den Terroranschlag in London vergangene Woche und den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt schreibt die britische Regierungschefin: „In gleicher Weise müssen wir eine möglichst enge Sicherheitskooperation aufbauen, damit wir unsere Bürger schützen können.“

McAllister sieht „rote Linien“ bei Brexit-Verhandlungen

Nach Ansicht des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, David McAllister (CDU), müssen bei den anstehenden Brexit-Verhandlungen „rote Linien“ eingezogen werden. „Dazu gehört, dass die Rechte der über drei Millionen EU-Bürger, die im Vereinigten Königreich leben, konsequent garantiert werden“, sagte McAllister der „Saarbrücker Zeitung“ (Donnerstag). McAllister betonte, dass das mit Blick auf den Arbeitsmarkt, die Gesundheitsvorsorge und die soziale Absicherung gelte.

Das EU-Parlament werde in der kommenden Woche eine Resolution verabschieden, „um den Ton der Verhandlungen mit vorzugeben und um deutlich zu machen, wo für uns rote Linien sind, die nicht überquert werden dürfen“. Der CDU-Politiker ergänzte, auf alle Beteiligten warte eine „gigantische Herausforderung“. Bei den Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich würden alle 27 Mitgliedstaaten „als Block“ auftreten und die drei EU Institutionen sich eng abstimmen. „Es wird keine Nebenabsprachen einzelner Mitgliedstaaten geben“, erklärte McAllister.

Studie: Brexit wird Großbritannien mehr schaden als übrigen EU-Staaten

Der Brexit wird Großbritannien einer Studie des Deutschen Bundestags zufolge deutlich mehr schaden als den anderen 27 EU-Staaten. Langfristig könne das britische Bruttoinlandsprodukt um bis zu 9,5 Prozentpunkte niedriger ausfallen als ohne Brexit, heißt es in der Studie vom 22. März, über die das „Handelsblatt“ (Donnerstagsausgabe) berichtet. Diese stütze sich auf diverse Prognosen von Organisationen und Ökonomen.

„Während die britische Wirtschaft insbesondere im Falle eines `hard Brexit` erhebliche Einbußen erleidet, bleiben die Auswirkungen für die EU-27 begrenzt“, heißt es in dem Papier. Einzelne Mitgliedstaaten wie die Republik Irland seien aber stärker betroffen. Der Brexit führe bereits jetzt dazu, dass sich Unternehmen mit Investitionen in Großbritannien zurückhielten, meint die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KMPG. „Die meisten Unternehmen warten ab“, sagte Marcus Schüller, Partner bei KPMG dem „Handelsblatt“.

Der Brexit berge für die Unternehmen diverse Risikofaktoren, darunter „die Entwicklung der Zölle, der Steuer, Löhne und der Wechselkurs“, wobei vor allem neue Zölle als „zusätzlicher Kostenfaktor“ problematisch seien. Der Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, befürchtet, dass die EU und Großbritannien es binnen zwei Jahren nicht schaffen, ein neues Freihandelsabkommen abzuschließen. „Wegen der Europawahlen haben wir ja nicht einmal zwei Jahre. Wie man dieses komplexe Rechtsgefüge in so kurzer Zeit entflechten und neu definieren will, ist mir schleierhaft“, so Hüther.

Autor: dts | Foto: Stockimo/www.shutterstock.com